Forschungsnetzwerk PRO PRICARE soll medizinische Überversorgung untersuchen
Der Patient im Mittelpunkt
Manchmal ist weniger mehr – dies gilt auch für die medizinische Versorgung in Deutschland. Da wird jedoch eher geklotzt statt gekleckert. Gemeint ist damit die sogenannte medizinische Überversorgung, von der man spricht, wenn eine medizinische Behandlung keine Evidenz, also keinen nachweisbaren oder ausreichenden Nutzen erbringt oder sogar zum Risiko für die Patienten wird. Forscher des Allgemeinmedizinischen Institutes haben nun ein Forschungsnetzwerk unter dem Akronym PRO PRICARE (Preventing Overdiagnosis in Primary Care) ins Leben gerufen, das zusammen mit Partnern aus dem Gesundheitswesen die medizinische Überversorgung in Deutschland untersucht. Gefördert wird das Netzwerk mit 2,1 Mio. Euro durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Das Forschungsnetzwerk und seine Teilprojekte
Das PRO PRICARE hat es sich zur Aufgabe gemacht, überflüssige diagnostische und therapeutische medizinische Maßnahmen ausfindig zu machen, ihre Ursachen zu untersuchen und Strategien zu entwickeln, um diese zukünftig zu verringern und zu verhindern. Denn neben hohen Kosten kann eine Überversorgung auch nachteilig für die Patienten sein, wenn beispielsweise unnötige Operationen durchgeführt werden.
PRO PRICARE arbeitet dafür an drei Teilprojekten. Aktuell entwickelt das Netzwerk eine Kurzversion eines Klassifikationssystems für Hausarztpraxen, um die Alltagsbewältigung alter und hochbetagter Menschen besser abbilden und einschätzen zu können. Die Idee dahinter ist, dass die Fokussierung auf das Leben und Leiden der Menschen zu anderen und auch zu weniger medizinischen Maßnahmen führt als das leitliniengerechte Behandeln von Krankheiten. Außerdem sollen in einem zweiten Teilprojekt sogenannte Kaskadeneffekte und deren Auslöser in der medizinischen Versorgung identifiziert werden. Dies meint diagnostische Maßnahmen, die weitere Diagnostik auslösen und am Ende auch noch zu einer eigentlich entbehrlichen Therapie führen können. Im dritten Teilprojekt wollen die Forscher die hausärztliche Konsultation bei Patienten mit häufigen Beratungsanlässen gemeinsam mit den Hausärzten weiterentwickeln.
Interdisziplinäre Kooperationspartner
Um das Problem der Überversorgung zu untersuchen und Lösungen hierfür zu erarbeiten, hat das Allgemeinmedizinische Institut weitere universitäre Institutionen, Praxisnetze und Partner, wie die Kassenärztliche Vereinigung Bayern und die GWQ Service Plus AG, zu einem Forschungsnetzwerk verknüpft. Das Institut ist aber nicht nur federführend in allen drei Teilprojekten, sondern leitet auch zusammen mit dem Center for Clinical Studies (CCS) des Universitätsklinikums Erlangen die Koordinierungsstelle des Forschungsnetzwerkes. Zusätzlich gibt es einen wissenschaftlichen Beirat, bestehend aus externen Forschern, dessen Mitglieder selbst im Bereich medizinischer Versorgungsforschung arbeiten oder prominente Stimmen gegen Überversorgung sind.
Für die drei Teilprojekte kooperiert das Allgemeinmedizinische Institut mit anderen Lehrstühlen und Instituten, wie dem Institut für Biomedizin des Alterns, dem Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung, dem Lehrstuhl für klinische Psychologie und Psychotherapie, dem Lehrstuhl für Gesundheitsmanagement, dem Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie, dem Interdisziplinären Zentrum für Public Health IZPH, dem Lehrstuhl für Biometrie und Epidemiologie. Teil von PRO PRICARE ist auch ein strukturiertes Programm zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlern, in dem diese in ihrer Arbeit unterstützt sowie methodisch und inhaltlich zum Thema Versorgungsforschung ausgebildet werden. Durch den breitgefächerten fachlichen Hintergrund der Mitarbeiter und Nachwuchswissenschaftler können die jeweiligen Teilprojekte aus vielen unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden. Schließlich reicht das Ausbildungsspektrum der Mitarbeiter von der Allgemeinmedizin, über Gesundheits- und Sportwissenschaften, Soziologie, Psychologie, Gesundheitsmanagement und Ökonomie bis hin zur Biologie.
Partner aus dem Gesundheitswesen, wie die Kassenärztliche Vereinigung Bayern und die GWQ Service Plus AG (als Vertreter der Betriebskrankenkassen), stellen dem Forschungsnetzwerk für die Studien anonymisierte Krankenkassendaten zur Analyse von Morbidität, Inanspruchnahme des Gesundheitswesens, Behandlungsverläufen und zur Berechnung von Kosten zur Verfügung. Grundlage für die Arbeit von PRO PRICARE ist dabei die Zusammenarbeit mit vier fränkischen Praxisnetzwerken (UGeF, QuE, MainArzt und ÄgH), den sogenannten „Forschungspraxen Franken“, in denen rund 200 fränkische Arztpraxen vernetzt sind. PRO PRICARE ist darauf angewiesen, dass „Forschungspraxen Franken“ Patienten und Ärzte für die verschiedenen Studien der jeweiligen Teilprojekte rekrutiert.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Thomas Kühlein
Tel.: 09131/85-31140
www.allgemeinmedizin.uk-erlangen.de/pro-pricare