Intimes Problem wieder auf dem Vormarsch

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Prof. Dr. Michael Sticherling vor der Erlanger Moulagensammlung im Internistischen Zentrum, wo die Hautklinik seit 2011 untergebracht ist. Foto: Franziska Männel/Uniklinikum Erlangen

Einblicke in 100 Jahre Erlanger Dermatologie – Geschlechtskrankheiten nehmen wieder zu

Syphilis – das klingt wie eine Krankheit aus einer Zeit, die längst vergangen ist. Doch die bakteriell verursachte Geschlechtskrankheit, die Fachleute auch Lues nennen, verzeichnet in Deutschland wieder steigende Zahlen. „Dabei ist die Syphilis nicht zwingend auf den Intimbereich beschränkt“, erklärt Prof. Dr. Michael Sticherling, stellvertretender Direktor der Hautklinik (Direktorin: Prof. Dr. Carola Berking) des Uniklinikums Erlangen. „Sie kann mit einem Geschwür im Genitalbereich, aber auch am Mund beginnen. Und auch an anderen Körperstellen können rote Flecken und kleine Knötchen auftauchen, zum Beispiel im Gesicht. Dazu kommen manchmal Fieber, geschwollene Lymphknoten, Kopfschmerzen und Müdigkeit. Die inneren Organe und das Gehirn können ebenso betroffen sein. Wir nennen die Syphilis das Chamäleon der Medizin, weil sie viele andere Krankheiten nachahmen kann“, so der Dermatologe.

Die Zahl derjenigen, die an Syphilis, aber auch an Gonorrhö (Tripper) und anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen leiden, steigt seit Jahren wieder an. „Und zwar beunruhigend stark“, sagt Prof. Sticherling. „Das hat mit unserem Reiseverhalten zu tun, mit dem Sextourismus nach Asien, mit mehr sexuellen Kontakten durch Onlineplattformen und Ähnlichem. Zwei Drittel der Infektionen passieren durch Oral- oder Analverkehr, aber viele wissen gar nicht, dass dabei ein Risiko besteht. Es gibt heutzutage nicht mehr diese Vorsicht, die etwa in den 80er- und 90er-Jahren während der AIDS-Zeit herrschte.“ Das Team der Erlanger Hautklinik beobachtet bei Geschlechtskrankheiten Steigerungsraten von jährlich zehn Prozent und mehr. „Wir überlegen tatsächlich, wieder standardisierte Syphilis-Bluttests bei unseren Hautklinikpatientinnen und -patienten einzuführen“, so Michael Sticherling. „Bei Hautsymptomen müssen wir heute auch wieder an die Lues denken.“

Moulagen zum Lernen und als Abschreckung

Bereits im 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert gab es eine „Hochzeit“ der Geschlechtskrankheiten. Flugblätter warnten u. a. vor der Gefahr, sich mit Prostituierten einzulassen, und auch Moulagen dienten dazu, die Menschen aufzuklären und abzuschrecken. Dabei handelt es sich um realistische Abformungen von erkrankten Körperteilen aus Wachs. Mithilfe von Gips wurde ein Abdruck der betroffenen Hautregion gefertigt. Dieses Negativ befüllte der Mouleur dann mit gefärbtem Wachs, ließ es aushärten und kolorierte es. Auch die Erlanger Hautklinik trug für die medizinische Dokumentation und die Lehre verschiedene dieser Moulagen zusammen – neben vielen Geschlechtskrankheiten zeigen sie u. a. Verhornungsstörungen, Hauttumoren, Tuberkulose und Lepra. Heute sind noch rund 135 Stücke in Vitrinen im Internistischen Zentrum im Ulmenweg ausgestellt.

Von Arsen bis zum ersten Antibiotikum

„Um 1900 herum waren die Krankenhäuser voll mit Syphilis-Kranken“, sagt Prof. Sticherling. „Um zu erkennen, ob es die Lues war oder doch etwas anderes, brauchte es zunehmend Spezialisten.“ Dies war die Geburtsstunde einer eigenständigen Klinik für Dermatologie und Venerologie in Erlangen, die ihre Türen erstmals im Februar 1923 öffnete.

Damals „präsentierte“ man Patientinnen und Patienten trotz schambesetzter Leiden noch in Medizin-Vorlesungen vor Publikum. Aber auch Moulagen dienten als Lehrobjekte für angehende Ärztinnen und Ärzte und zur Dokumentation von Krankheitsverläufen. „Haut lässt sich nicht konservieren wie zum Beispiel ein Herz, das in Formaldehyd eingelegt wird. Haut wird farblos und fällt zusammen“, erklärt Prof. Sticherling. „Deshalb konnte man Hautkrankheiten lange nur in Büchern abbilden. Durch die Moulagen war das ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch dreidimensional möglich.“ Bis heute zeigt der Dermatologe die Wachsabformungen in seinen Vorlesungen. Was aber die Patientinnen und Patienten mit intimen (Haut-)Problemen betrifft, so müssen diese im Jahr 2024 nicht mehr fürchten, mit Gips übergossen, in einem Hörsaal vorgestellt oder Opfer medizinischer Experimente zu werden. „Wie man damals mit Erkrankten umging, ist nicht mit heute zu vergleichen, wo wir individuell auf Bedürfnisse und Ängste eingehen“, so Michael Sticherling.

Während die Syphilis ab 1910 mit Salvarsan bekämpft wurde – einem giftigen, nebenwirkungsreichen Gemisch aus Arsenverbindungen, das die vorher üblichen, ebenfalls toxischen Quecksilberverbindungen ablöste –, gibt es heute wirksame Antibiotika. „Seit Mitte des 20. Jahrhunderts sind sie die wichtigste Waffe gegen bakteriell verursachte Geschlechts- und andere Infektionskrankheiten“, betont Prof. Sticherling. Vor sexuell übertragbaren Bakterien, aber auch vor Viren, schützen Kondome oder sogar Impfungen – etwa gegen Humane Papillomaviren, die beispielsweise Gebärmutterhalskrebs auslösen können. Dermatologinnen und Dermatologen wissen mittlerweile um die große Bedeutung der Haut als eigenständiges Immunorgan, das sogar eigene Antibiotika produziert. „Weil man an die Haut von außen so gut herankommt – besser als beispielsweise an den Darm –, spielt sie auch eine wichtige Rolle in der Immun- und der Entzündungsforschung“, erklärt Prof. Sticherling. Die ersten Biologika gegen Schuppenflechte und Rheuma wurden in Erlangen mitentwickelt. „Die Haut ist also viel mehr als die alles zusammenhaltende ,Wurstpelle‘, für die man sie einst hielt.“

100 Jahre Erlanger Hautklinik

Mit einem Symposium am Samstag, 20. Juli 2024, würdigen Angehörige des Uniklinikums Erlangen und der Hautklinik, der FAU Erlangen-Nürnberg sowie externe Gäste und Referierende das 100-jährige Bestehen der Erlanger Dermatologie. Der Weg zu ihrer Etablierung war lang und teils beschwerlich, doch im Februar 1923 wurde die Klinik schließlich im ehemaligen Garnisonslazarett in der Hartmannstraße 14 eröffnet. Im März 1924 bekam sie mit Leonhardt Hauck ihren ersten Lehrstuhlinhaber, der sie bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs führte. Nach zwei weiteren Klinikleitungen übernahm Prof. Dr. Gerold Schuler im Jahr 1995 die Hautklinik, bis ihn seine Nachfolgerin Prof. Dr. Carola Berking 2019 als Klinikdirektorin ablöste. Sie führt nun u. a. die langjährige Erforschung und Therapie des weißen und schwarzen Hautkrebses in Erlangen fort.

Bei der Veranstaltung für geladene Gäste kommen u. a. die Nachfahren Leonhardt Haucks zu Wort sowie Zeitzeugen, die die Erlanger Hautklinik über die Jahrzehnte begleiteten. Es gibt historische Einblicke in die Entwicklung der universitären Dermatologie, in die Moulagensammlung und schließlich auch einen Ausblick auf künftige Herausforderungen und Chancen im Fach Dermatologie.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Michael Sticherling
09131 85-33851
michael.sticherling(at)uk-erlangen.de

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